Wirecard-Klagen: Nicht unbedingt sinnvoll.

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Eine Rei­he von mehr oder weni­ger bekann­ten Anle­ger­schutz-Anwäl­ten haben bereits Kla­gen gegen die Wire­card AG, gegen deren Vor­stän­de und gegen deren Abschluss­prü­fer erho­ben. Sogar Kla­gen gegen die Bun­des­an­stalt für Finanz­dienst­leis­tungs­auf­sicht (Bafin) sind ange­kün­digt. Es ist augen­schein­lich Teil des Geschäfts­mo­dells die­ser Kol­le­gen, sich früh­zei­tig in den Medi­en posi­tio­nie­ren und so Man­da­te ein­zu­wer­ben. Aller­dings sind die Erfolgs­aus­sich­ten sol­cher Kla­gen ent­we­der zwei­fel­haft oder es ist unklar, ob die Beklag­ten über­haupt zah­len kön­nen. Ein unmit­tel­ba­res Ver­jäh­rungs­ri­si­ko besteht zur­zeit nicht. Anle­ger soll­ten daher nicht vor­schnell kos­ten­träch­ti­ge Man­dats­ver­ein­ba­run­gen ein­ge­hen. Schon erteil­te Man­da­te kön­nen mög­li­cher­wei­se sogar ohne Kos­ten­fol­gen wider­ru­fen werden.

Klagen gegen die Wirecard AG

Eine Kla­ge gegen die Wire­card AG selbst ist zwar rein juris­tisch durch­aus aus­sichts­reich. Es liegt nahe, dass Bilan­zen aus den ver­gan­ge­nen Jah­ren falsch und Ad-Hoc-Mit­tei­lun­gen unrich­tig oder ver­spä­tet waren. Aller­dings hat die Wire­card AG mit dem Weg­fall der vor­geb­li­chen Treu­hand­kon­ten nahe­zu ihr gesam­tes Eigen­ka­pi­tal ver­lo­ren (oder nie­mals gehabt). Dabei sind Abschrei­bun­gen auf den Wert von Toch­ter­ge­sell­schaf­ten, die unter zwei­fel­haf­ten Umstän­den erwor­ben wur­den, noch nicht ein­mal berück­sich­tigt. Die Ein­nah­men aus dem lau­fen­den Geschäft rei­chen offen­sicht­lich nicht aus, um die bestehen­den Schul­den zurück­zah­len. Des­halb hat die Wire­card AG ja auch Insol­venz angemeldet.

Anle­ger sind in einer Insol­venz mit ihren Scha­dens­er­satz­an­sprü­chen nur ein­fa­che Insol­venz­gläu­bi­ger. Mit einer erheb­li­chen Quo­te kön­nen sie nicht rech­nen. Bereits erho­be­ne Kla­gen wer­den im Fall der Eröff­nung eines Ver­fah­rens erst ein­mal unter­bro­chen. Jetzt noch Kla­ge zu erhe­ben, wäre daher unsin­nig, und Anle­ger, die bereits Kla­ge erho­ben haben, soll­ten prü­fen, ob sie ihre Kla­ge nicht bes­ser zurück­neh­men, um zumin­dest Kos­ten zu spa­ren. Aller­dings soll­ten geschä­dig­te Anle­ger ihre For­de­run­gen zur Tabel­le anmel­den, wenn ein Insol­venz­ver­fah­ren eröff­net wer­den sollte.

Klagen gegen Vorstandsmitglieder

Auch Kla­gen gegen ein­zel­ne Vor­stands­mit­glie­der, ins­be­son­de­re den Vor­sit­zen­den Braun oder den Finanz­vor­stand Mar­sa­lek, erschei­nen rein juris­tisch halb­wegs aus­sichts­reich. Das gilt zumin­dest nach dem, was bis­her in der Pres­se berich­tet wur­de. Aller­dings fragt sich auch hier, ob die­se Schuld­ner ein hin­rei­chend gro­ßes Ver­mö­gen haben. Bei Herrn Mar­sa­lek kommt hin­zu, dass er gegen­wär­tig ver­schwun­den ist. Ob Orga­ne der Wire­card AG für haf­tungs­be­grün­den­de Pflicht­ver­let­zun­gen Ver­si­che­rungs­schutz aus einer D&O‑Versicherung genie­ßen, wird davon abhän­gen, ob sie wis­sent­lich ihre Pflich­ten ver­letzt haben. Inhalt und Umfang etwai­ger Ver­si­che­rungs­po­li­cen sind zwar bis­lang nicht bekannt. Es ist aber wahr­schein­lich, dass in die­sem Fall ihr Ver­si­che­rungs­schutz erlischt. Zudem ist der Sach­ver­halt nicht klar. Auch hier ist des­halb eine Kla­ge nicht unbe­dingt sinn­voll. Zunächst soll­ten Anle­ger bes­ser abwar­ten, bis mehr Details zum Sach­ver­halt bekannt werden.

Die Ver­jäh­rung dürf­te in den meis­ten Fäl­len noch kein Pro­blem dar­stel­len. Scha­dens­er­satz­an­sprü­che ver­jäh­ren drei Jah­re nach dem Ende des Jah­res, in dem der Anspruch ent­stan­den ist und in dem der Gläu­bi­ger von den den Anspruch begrün­den­den Umstän­den und der Per­son des Schuld­ners Kennt­nis erlangt oder ohne gro­be Fahr­läs­sig­keit erlan­gen müss­te. Ohne Kennt­nis des Berech­tig­ten ver­jäh­ren sie in zehn Jah­ren. Für die meis­ten Ansprü­che ist daher eine Ver­jäh­rung nicht zu befürchten.

Klagen gegen den Abschlussprüfer Ernst & Young

In der Pres­se fin­den sich Mut­ma­ßun­gen über fahr­läs­si­ges oder grob fahr­läs­si­ges Ver­hal­ten der Abschluss­prü­fer der Wire­card AG. Ansprü­che der Gesell­schaft gegen den Abschluss­prü­fer einer Akti­en­ge­sell­schaft sind im Fall fahr­läs­si­gen Han­delns aller­dings auf vier Mil­lio­nen Euro beschränkt. Das schließt grob fahr­läs­si­ges Han­deln ein. Gegen­über Drit­ten (also auch gegen­über Aktio­nä­ren) haf­tet ein Abschluss­prü­fer bei nur fahr­läs­si­gem Han­deln grund­sätz­lich nicht. Anders kann es sein, wenn ein Ver­trag mit Schutz­wir­kung für Drit­te vor­liegt. Das ist aber nur in Aus­nah­me­fäl­len so. Hier spricht nichts dafür.

Vorsätzliches Handeln

Anders liegt es bei vor­sätz­li­chem Han­deln. Dann kommt eine Haf­tung gegen­über Drit­ten aus der Ver­let­zung ver­schie­de­ner soge­nann­ter Schutz­ge­set­ze (§ 823 Abs. 2 des Bür­ger­li­chen Gesetz­buchs (BGB) und wegen vor­sätz­li­cher sit­ten­wid­ri­ger Schä­di­gung (§ 826 BGB) in Betracht. Auch die Haf­tungs­be­gren­zung gilt dann nicht. Aller­dings wird der Vor­satz nur schwer nach­zu­wei­sen sein. Man kann davon aus­ge­hen, dass Ernst & Young alles nur erdenk­li­che tun wird, um den Vor­wurf vor­sätz­li­chen Han­delns zu ent­kräf­ten. Selbst wenn das nicht gelingt, haf­ten nur die han­deln­den Prü­fer und die GmbH, die ein Stamm­ka­pi­tal von ca. zehn Mil­lio­nen Euro hat. Das wird kaum rei­chen, um alle Ansprü­che von Anle­gern zu befriedigen.

Versicherungsschutz

Eine etwai­ge Haft­pflicht­ver­si­che­rung wird bei vor­sätz­li­chem Han­deln womög­lich von der Leis­tung frei. Denn Berufs­haft­pflicht­ver­si­che­run­gen ent­hal­ten in der Regel einen Leis­tungs­aus­schluss bei wis­sent­li­chem Han­deln des Ver­si­cher­ten.  Das wird aller Wahr­schein­lich­keit auch hier der Fall sein.

Haftung anderer Gesellschaften aus dem Ernst & Young-Verbund

Ob und inwie­weit eine Grund­la­ge dafür besteht, die zahl­rei­chen recht­lich selb­stän­di­gen Gesell­schaf­ten der Ernst & Young-Grup­pe im Rest der Welt in Anspruch zu neh­men, ist sehr zwei­fel­haft. Eine Rei­he von Anwalts­kanz­lei­en haben offen­bar im Namen geschä­dig­ter Anle­ger Straf­an­zei­gen gegen ein­zel­ne Mit­ar­bei­ter der Ernst & Young GmbH gestellt. Das ist sicher bei der bis­lang bekann­ten Sach­la­ge sinn­voll, zumal hier der Steu­er­zah­ler für den Ermitt­lungs­auf­wand aufkommt.

Für die Erhe­bung kos­ten­träch­ti­ger Kla­gen ist aber auch hier noch zu früh. Auch hier soll­te man eher abwar­ten, bis der Sach­ver­halt sich wei­ter klärt.

Klagen gegen die Bafin und die von ihr beauftragte Prüfstelle

Sicher zah­lungs­fä­hig ist zumin­dest die Bafin. Nach Pres­se­be­rich­ten hat die Bafin schon im Febru­ar 2019 im Rah­men der Wert­pa­pier­über­wa­chung Anlass gese­hen, Vor­wür­fen bei Wire­card nach­zu­ge­hen. Sie beauf­trag­te damit die Deut­sche Prüf­stel­le für Rech­nungs­le­gung (DPR). Dort war aller­dings offen­bar nur ein ein­zel­ner Prü­fer tätig. Ein Bericht liegt bis heu­te nicht vor. Tat­säch­lich ist es nach § 106 des Wert­pa­pier­han­dels­ge­set­zes (WpHG) Auf­ga­be der Bafin, Jah­res­ab­schlüs­se bör­sen­no­tier­ter Gesell­schaf­ten zu prü­fen, wenn kon­kre­te Anhalts­punk­te für Unre­gel­mä­ßig­kei­ten vor­lie­gen. Der letz­te Abschluss kann auch ohne kon­kre­ten Anlass geprüft wer­den. Sie kann sich dazu exter­ner Prüf­stel­len bedie­nen, und die DPR ist eine sol­che. Es ist also durch­aus mög­lich, dass der Bafin oder der DPR eine Pflicht­ver­let­zung zur Last fällt. Aber aus den bis­lang bekann­ten Tat­sa­chen lässt sich das nicht mit Sicher­heit ableiten.

Haftung der Bafin

Eine Haf­tung der BaFin im Zusam­men­hang mit feh­ler­haf­ten Ad-hoc-Mit­tei­lun­gen schei­tert mit eini­ger Wahr­schein­lich­keit schon dar­an, dass dem inso­weit ein­schlä­gi­gen Art. 17 der Markt­miss­brauchs­ver­ord­nung (MAR) nach über­wie­gen­der Auf­fas­sung kei­ne dritt­schüt­zen­de Wir­kung zukommt.  Dazu kommt, dass die Amts­haf­tung der Bafin gegen­über ein­zel­nen Anle­gern (zumin­dest nach der gegen­wär­ti­gen Rechts­la­ge) auch des­halb aus­ge­schlos­sen ist, weil die Tätig­keit der Bafin nach § 4 Abs. 4 des Finanz­dienst­leis­tungs­auf­sichts­ge­set­zes (Fin­DAG) nur im öffent­li­chen Inter­es­se erfolgt. Damit bestehen gegen­über Anle­gern kei­ne Amts­pflich­ten, aus denen sich eine Haf­tung her­lei­ten ließe.

Ob es mög­lich ist, unter Beru­fung auf euro­pa­recht­li­che Nor­men durch eine Ent­schei­dung des EuGH die Amts­pflich­ten der Bafin zumin­dest teil­wei­se auf die ein­zel­nen Anle­ger zu erstre­cken, und wel­che kon­kre­ten Fol­gen damit ver­bun­den wären, ist unklar. Für Prü­fungs­pflich­ten im Rah­men der Bank­auf­sicht hat das für Kla­gen gegen die Bafin zustän­di­ge OLG Frank­furt im Febru­ar 2020 einen Dritt­schutz abge­lehnt.  Es beruft sich dabei auf frü­he­re Ent­schei­dun­gen des EuGH. Das hat natür­lich für Fra­gen der Kapi­tal­markt­auf­sicht nur eine sehr begrenz­te Indi­zwir­kung. Ob und inwie­weit es eine dritt­schüt­zen­de Wir­kung bei kapi­tal­markt­recht­li­chen Vor­ga­ben oder Vor­schrif­ten im EU-Recht gibt, die auf das deut­sche Recht durch­schla­gen kön­nen, wer­de ich in einem wei­te­ren Bei­trag behan­deln. Das ist näm­lich eine für die Haf­tung der Bafin ganz zen­tra­le Frage.

Haftung der DPR

Die DPR haf­tet nach § 342b Abs. 7 des Han­dels­ge­setz­buchs (HGB) für Schä­den durch ihre Prü­fungs­tä­tig­keit nur bei vor­sätz­li­chem Han­deln. Das ergibt sich aus den bis­lang bekann­ten Tat­sa­chen nicht. Zudem ist unklar, in wel­chem Umfang die DPR über­haupt in der Lage wäre, erheb­li­che Scha­dens­er­satz­sum­men zu zahlen.

Fazit

Wie man sieht, ist bei mög­li­chen Wire­card-Kla­gen ent­we­der unklar, ob im Fall der erfolg­rei­chen Kla­ge der Anspruch erfolg­reich durch­ge­setzt wer­den kann, oder es gibt erheb­li­che Zwei­fel am Erfolg einer Kla­ge. Oder es gilt bei­des. Ver­jäh­rung droht in der Regel nicht unmit­tel­bar. Geschä­dig­te Anle­ger soll­ten des­halb nicht vor­schnell eine Kla­ge erhe­ben, son­dern eher abwar­ten, wie die Wire­card-Saga wei­ter­geht, um wirt­schaft­li­che Erfolgs­aus­sich­ten und Kos­ten­ri­si­ko bes­ser abwä­gen zu können.

Ist bereits ein Anwalt man­da­tiert (ins­be­son­de­re einer, der sys­te­ma­tisch Man­dan­ten über das Inter­net ein­wirbt), kann ein Wider­ruf des Man­dats nach den Vor­schrif­ten des BGB über Fern­ab­satz­ver­trä­ge (§§ 312 c ff. BGB) in Betracht kom­men. Wird ein Anwalts­ver­trag näm­lich ohne per­sön­li­chen Kon­takt im Fern­ab­satz (Tele­fon, E‑Mail, Inter­net) geschlos­sen, kann der Man­dant, wenn er Ver­brau­cher ist, wider­ru­fen, wenn er nicht ord­nungs­ge­mäß über sein Wider­rufs­recht belehrt wur­de. Inner­halb der zwei­wö­chi­gen Wider­rufs­frist ist ein Wider­ruf immer mög­lich. Ohne aus­drück­li­che Zustim­mung darf der Anwalt auch nicht vor Ablauf der Wider­rufs­frist tätig wer­den. Bei einem wirk­sa­men Wider­ruf ent­fällt die Pflicht, ein Hono­rar zu zah­len. Aller­dings wis­sen das die meis­ten Anle­ger­schutz­an­wäl­te und sichern sich in ihren Man­dats­ver­ein­ba­run­gen ab. 

 

 

 

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